Immer wieder werde ich gefragt, warum ich in Teilzeit arbeite. Mit einem neidischen Unterton kommen dann oft Aussagen wie: “Oh, das würde ich auch gern machen.” Ja, dann mach doch einfach! Wo liegt das Problem? Reicht das Gehalt am Monatsende nicht? Ist die Auslastung in Vollzeit schon so hoch, dass du davon ausgehst, dass Dein Vorgesetzter garantiert ablehnt? Wer soll dann die ganze Arbeit übernehmen? Die Vorurteile, dass man nur in Vollzeit seine Arbeit gut verrichtet, sind immer noch stark verbreitet. Nur so lässt es sich erklären, dass es beispielsweise für Führungskräfte nahezu unmöglich ist, in Teilzeit zu gehen. Nicht selten werden sie mit dem Eintritt in die Teilzeit “degradiert” und bekommen Aufgaben mit weniger Verantwortung. Es gibt bestimmt einige Gründe, die dich vor diesem Schritt abhalten. Ich möchte kurz erzählen, was mich dazu bewogen hat, welche Hürden es gab und wo ich auf Grenzen gestoßen bin.

Ich wurde Vater und nach dem 2. Monat Elternzeit ist mir nicht nur aufgefallen, wie wahnsinnig schnell das erste halbe Lebensjahr eines Neugeborenen vergeht, sondern auch, wie stark sich ein Mensch in dieser Zeit entwickelt. In dieser Zeit habe ich meine Tochter morgens ein paar Minuten und abends ein paar Minuten gesehen. Schön, dass es zumindest die Wochenenden gab, wenn sich bis dahin nicht die ganze Haushaltsarbeit ansammeln würde. Da ich kein großer Freund klassischer Familien-Rollenbilder bin, war mir sofort klar, dass diese großen, neuen Herausforderungen nicht mit einem Vollzeitjob parallel zu bewältigen sind. Sie benötigen von mir nicht nur die volle Aufmerksamkeit, sondern auch viel Zeit und Energie. Für einen guten Freund von mir – Software Architect, Provotainer und Agile Anarchist – war aus Mangel an Zeit für seine privaten und sozialen Projekte die Teilzeit alternativlos. Bei einem 6-Stunden-Tag ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich aus diversen Gründen doch länger im Büro sitze als geplant. Er hat mich relativ schnell von der Idee einer 4-Tage-Woche überzeugt. Bei einer 4-Tage-Woche bleibe ich einfach den gesamten 5. Werktag zu Hause.

Was sagt nur mein Arbeitgeber dazu?

Natürlich habe ich mich vor dem Gespräch mit meinem Vorgesetzten total verrückt gemacht. Wie geht es für mich weiter, wenn ich keine Teilzeit bekomme? Mir ist auf Anhieb auch niemand in meinem Unternehmen eingefallen, der bereits in Teilzeit arbeitet. Schließlich hat es aber auch dafür gesorgt, dass ich mich auf dieses Gespräch sehr gut vorbereitet und mir – auch für mich selbst – viele gute Argumente zurecht gelegt habe. Das Gespräch selbst lief dann sehr locker. Mir wurden alternative Vorschläge gemacht, die für mich nicht in Frage kamen. Das Verständnis an sich war aber vorhanden, auch wenn eine Reduzierung der Arbeitszeit nicht gern gesehen ist. Ein Unternehmen hätte seine Fachkräfte am liebsten volle 8 Stunden im Haus. Meine familiäre Situation hat das Ganze sicherlich begünstigt. Letztendlich unterstützt der Staat junge Eltern, die in Teilzeit arbeiten möchten. In der Elternzeit benötigt der Arbeitgeber sogar dringende betriebliche Gründe, einem Arbeitnehmer den Wunsch nach Teilzeit nicht zu gewähren.

Reicht die Kohle bei Teilzeit überhaupt?

Sowohl beim Gehalt als auch bei den Urlaubstagen muss ich Abstriche hinnehmen. Mit dem Betrag, der am Monatsende übrig bleibt, komme ich trotzdem klar. Das liegt aber auch daran, dass ich sehr sparsam lebe und wenig konsumiere. Für mich persönlich hat die Zeit für Familie und Freunde sowie das Engagement für andere Projekte einen größeren Wert als materielle Dinge, die ich konsumieren und besitzen muss. Abgesehen davon hat mich der Neurobiologe und Lernforscher Prof. Dr. Gerald Hüther auf die Fragen gebracht: Was will ich wirklich? Warum will ich hier unterwegs sein? Was kann ich bewegen? Bis dahin habe ich mein Leben nicht bewusst danach ausgerichtet, sondern es so angenommen, wie es ist. Je länger ich mich aber mit diesen Fragen beschäftigt habe, desto mehr wurde mir bewusst, dass zwar mein Job dazu beiträgt, jedoch nicht mit dem Zeitumfang einer 40-Stunden-Woche.

Darüber hinaus bin ich auch von vielen Gedanken Niko Paechs überzeugt. Wie leben wir in der Zukunft? Wie funktionieren Ökonomie und Gesellschaft in der Zukunft? Ist es nicht sinnvoll und irgendwann sogar unabdingbar, dass ein Großteil der Menschen sein Geld nur noch innerhalb einer 20-Stunden-Woche verdient? Den Rest des Tages investiere ich meine Talente in einer auf Sharing ausgerichteten Gesellschaft, die zum großen Teil lokal und regional wirtschaftet: Repair Cafés, soziale Unterstützung und Betreuung, künstlerische Selbstverwirklichung, Urban Gardening, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Welchen Einfluss hätte ein bedingungsloses Grundeinkommen auf unsere Jobwahl und auf unsere Alltagsgestaltung? Nun gut, das sind eher Utopien – ich schweife ab.

Montags gehen nur die wenigsten gern arbeiten

Sicherlich ist auch dir schon aufgefallen, dass montags die Stimmung im Büro noch recht verkatert und lustlos ist. Montags gehen nur die Wenigsten gern arbeiten. Oft war ich sonntags schon enttäuscht, dass das Wochenende fast vorbei ist. Wieder einmal habe ich nichts von dem geschafft, was ich mir für das Wochenende eigentlich vorgenommen habe. Der Montag war für mich die ideale Wahl als freier Tag. Ich komme dienstags ins Büro und alle sind gut drauf. Da starte ich automatisch motiviert in die neue Woche. Abgesehen davon habe ich so auch jede Woche ein verlängertes Wochenende.

Da ist Flexibilität gefragt

Als Scrum Master unterstütze ich zwei agile Software-Entwicklungsteams und agiere zusätzlich in einem Transition Team, das teamübergreifend Verbesserungen im Unternehmen anstrebt und Probleme löst. Etwa 60% meiner Arbeitszeit verbringe ich in Meetings oder führe Gespräche mit KollegInnen. Die Meetings konnte ich mir mit Unterstützung meiner KollegInnen so legen, dass ich an meinem freien Tag keines verpasse. Durch die Teilzeit sind es quantitativ nicht mehr Meetings geworden, doch der Anteil ist natürlich deutlich gestiegen. Ich musste lernen, die Zeit zwischen den Meetings so sinnvoll wie möglich zu gestalten, um meine Aufgaben zu schaffen. Diese Aufgaben gehe ich dann aber umso fokussierter und strukturierter an. Mein Anspruch war von Anfang an, alle wichtigen Aufgaben, die in einer 40-Stunden-Woche zu bewältigen sind, auch in 32 Stunden zu erledigen. Durch die 4-Tage-Woche fühlen sich die Tage für mich straff terminiert und sehr ausgefüllt an; Zeit für Kicker- oder Kaffeepäuschen findet sich nur selten. Schwierig wird es vor allem dann, wenn mehrstündige oder ganztägige Workshops angesetzt sind. Da ich meist nur einer von vielen TeilnehmerInnen bin, wird es oft schwierig einen geeigneten Slot im vollen Terminkalender zu finden. Da ist Flexibilität gefragt. In solchen jedoch seltenen Fällen lässt sich der freie Tag auch einmal verschieben. In anderen Fällen habe ich aber auch gelernt Nein zu sagen. Ich habe weniger Zeit für Beobachtungen und erfahre durch meine Abwesenheit von manchen Veränderungen und Problemen erst sehr spät. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass die Woche zu kurz ist, wenn ich größere Aufgaben von einer Woche zur nächsten Woche immer mal wieder durchschleife.

Weniger Verlangen nach Urlaub

Durch die Teilzeit leidet die Qualität der eigenen Arbeit überhaupt nicht. Im Gegenteil: Durch die längeren Erholungsphasen bin ich ausgeruhter, ausgeglichener und konzentrierter. Ich schaffe also wahrscheinlich sogar mehr in weniger Zeit. Die längeren Erholungsphasen haben sicherlich auch einen großen Einfluss auf die Gesundheit. Das Verlangen nach Urlaub ist viel geringer bzw. setzt später ein. Ich würde sogar behaupten, dass ich durch die Teilzeit weniger Verlangen nach Urlaub oder ähnlichem Freizeitausgleich habe.

Inspect and adapt – probiert es einfach aus

Einige meiner KollegInnen wollten auch gern mal Teilzeit ausprobieren oder haben es noch vor. Manche haben dann doch gemerkt, dass sie am Gehalt keine Abstriche machen wollen. Manchen ist dann in der zusätzlichen freien Zeit auch die Decke auf den Kopf gefallen oder sie verbringen die neu gewonnene Zeit doch mit Themen, mit denen sie sich auch während der regulären Arbeitszeit beschäftigen könnten. Ich kann nur empfehlen: inspect and adapt. Wenn ihr neugierig seid, probiert es einfach aus. Vielleicht ist es genau die richtige Entscheidung, um euch nicht nur im Leben, sondern auch auf der Arbeit zu mehr Glück zu verhelfen. Vielleicht merkt ihr aber auch, dass ihr unbedingt die Vollzeit benötigt, um euch im Beruf ausreichend selbst verwirklichen zu können.

Weniger ist mehr – 24-Stunden-Woche?

Eine Rückkehr in die 40-Stunden-Woche ist für mich aktuell unvorstellbar. Das zweite Kind erblickt bald das Licht der Welt. Da denke ich eher darüber nach, die Arbeitszeit noch radikaler zu reduzieren: 24-Stunden-Woche? Dann könnte ich auf dem Heimweg auch direkt die Kinder von der KiTa abholen und noch mehr Zeit mit ihnen verbringen. Ich könnte anderen tollen und ehrenamtlichen Projekten noch mehr Aufmerksamkeit schenken oder noch mehr Dinge selbst bauen und reparieren. Vielleicht komme ich dann aber auch schneller in den Überstunden-Modus, da sonst wichtige Aufgaben auf der Strecke bleiben?

Vielleicht sollte ich es auch einfach ausprobieren und die Erfahrung machen.

 

Ein Jahr Teilzeit – ein Erfahrungsbericht

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