Ein Jahr Teilzeit – ein Erfahrungsbericht

Ein Jahr Teilzeit – ein Erfahrungsbericht

Immer wieder werde ich gefragt, warum ich in Teilzeit arbeite. Mit einem neidischen Unterton kommen dann oft Aussagen wie: “Oh, das würde ich auch gern machen.” Ja, dann mach doch einfach! Wo liegt das Problem? Reicht das Gehalt am Monatsende nicht? Ist die Auslastung in Vollzeit schon so hoch, dass du davon ausgehst, dass Dein Vorgesetzter garantiert ablehnt? Wer soll dann die ganze Arbeit übernehmen? Die Vorurteile, dass man nur in Vollzeit seine Arbeit gut verrichtet, sind immer noch stark verbreitet. Nur so lässt es sich erklären, dass es beispielsweise für Führungskräfte nahezu unmöglich ist, in Teilzeit zu gehen. Nicht selten werden sie mit dem Eintritt in die Teilzeit “degradiert” und bekommen Aufgaben mit weniger Verantwortung. Es gibt bestimmt einige Gründe, die dich vor diesem Schritt abhalten. Ich möchte kurz erzählen, was mich dazu bewogen hat, welche Hürden es gab und wo ich auf Grenzen gestoßen bin.

Ich wurde Vater und nach dem 2. Monat Elternzeit ist mir nicht nur aufgefallen, wie wahnsinnig schnell das erste halbe Lebensjahr eines Neugeborenen vergeht, sondern auch, wie stark sich ein Mensch in dieser Zeit entwickelt. In dieser Zeit habe ich meine Tochter morgens ein paar Minuten und abends ein paar Minuten gesehen. Schön, dass es zumindest die Wochenenden gab, wenn sich bis dahin nicht die ganze Haushaltsarbeit ansammeln würde. Da ich kein großer Freund klassischer Familien-Rollenbilder bin, war mir sofort klar, dass diese großen, neuen Herausforderungen nicht mit einem Vollzeitjob parallel zu bewältigen sind. Sie benötigen von mir nicht nur die volle Aufmerksamkeit, sondern auch viel Zeit und Energie. Für einen guten Freund von mir – Software Architect, Provotainer und Agile Anarchist – war aus Mangel an Zeit für seine privaten und sozialen Projekte die Teilzeit alternativlos. Bei einem 6-Stunden-Tag ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich aus diversen Gründen doch länger im Büro sitze als geplant. Er hat mich relativ schnell von der Idee einer 4-Tage-Woche überzeugt. Bei einer 4-Tage-Woche bleibe ich einfach den gesamten 5. Werktag zu Hause.

Was sagt nur mein Arbeitgeber dazu?

Natürlich habe ich mich vor dem Gespräch mit meinem Vorgesetzten total verrückt gemacht. Wie geht es für mich weiter, wenn ich keine Teilzeit bekomme? Mir ist auf Anhieb auch niemand in meinem Unternehmen eingefallen, der bereits in Teilzeit arbeitet. Schließlich hat es aber auch dafür gesorgt, dass ich mich auf dieses Gespräch sehr gut vorbereitet und mir – auch für mich selbst – viele gute Argumente zurecht gelegt habe. Das Gespräch selbst lief dann sehr locker. Mir wurden alternative Vorschläge gemacht, die für mich nicht in Frage kamen. Das Verständnis an sich war aber vorhanden, auch wenn eine Reduzierung der Arbeitszeit nicht gern gesehen ist. Ein Unternehmen hätte seine Fachkräfte am liebsten volle 8 Stunden im Haus. Meine familiäre Situation hat das Ganze sicherlich begünstigt. Letztendlich unterstützt der Staat junge Eltern, die in Teilzeit arbeiten möchten. In der Elternzeit benötigt der Arbeitgeber sogar dringende betriebliche Gründe, einem Arbeitnehmer den Wunsch nach Teilzeit nicht zu gewähren.

Reicht die Kohle bei Teilzeit überhaupt?

Sowohl beim Gehalt als auch bei den Urlaubstagen muss ich Abstriche hinnehmen. Mit dem Betrag, der am Monatsende übrig bleibt, komme ich trotzdem klar. Das liegt aber auch daran, dass ich sehr sparsam lebe und wenig konsumiere. Für mich persönlich hat die Zeit für Familie und Freunde sowie das Engagement für andere Projekte einen größeren Wert als materielle Dinge, die ich konsumieren und besitzen muss. Abgesehen davon hat mich der Neurobiologe und Lernforscher Prof. Dr. Gerald Hüther auf die Fragen gebracht: Was will ich wirklich? Warum will ich hier unterwegs sein? Was kann ich bewegen? Bis dahin habe ich mein Leben nicht bewusst danach ausgerichtet, sondern es so angenommen, wie es ist. Je länger ich mich aber mit diesen Fragen beschäftigt habe, desto mehr wurde mir bewusst, dass zwar mein Job dazu beiträgt, jedoch nicht mit dem Zeitumfang einer 40-Stunden-Woche.

Darüber hinaus bin ich auch von vielen Gedanken Niko Paechs überzeugt. Wie leben wir in der Zukunft? Wie funktionieren Ökonomie und Gesellschaft in der Zukunft? Ist es nicht sinnvoll und irgendwann sogar unabdingbar, dass ein Großteil der Menschen sein Geld nur noch innerhalb einer 20-Stunden-Woche verdient? Den Rest des Tages investiere ich meine Talente in einer auf Sharing ausgerichteten Gesellschaft, die zum großen Teil lokal und regional wirtschaftet: Repair Cafés, soziale Unterstützung und Betreuung, künstlerische Selbstverwirklichung, Urban Gardening, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Welchen Einfluss hätte ein bedingungsloses Grundeinkommen auf unsere Jobwahl und auf unsere Alltagsgestaltung? Nun gut, das sind eher Utopien – ich schweife ab.

Montags gehen nur die wenigsten gern arbeiten

Sicherlich ist auch dir schon aufgefallen, dass montags die Stimmung im Büro noch recht verkatert und lustlos ist. Montags gehen nur die Wenigsten gern arbeiten. Oft war ich sonntags schon enttäuscht, dass das Wochenende fast vorbei ist. Wieder einmal habe ich nichts von dem geschafft, was ich mir für das Wochenende eigentlich vorgenommen habe. Der Montag war für mich die ideale Wahl als freier Tag. Ich komme dienstags ins Büro und alle sind gut drauf. Da starte ich automatisch motiviert in die neue Woche. Abgesehen davon habe ich so auch jede Woche ein verlängertes Wochenende.

Da ist Flexibilität gefragt

Als Scrum Master unterstütze ich zwei agile Software-Entwicklungsteams und agiere zusätzlich in einem Transition Team, das teamübergreifend Verbesserungen im Unternehmen anstrebt und Probleme löst. Etwa 60% meiner Arbeitszeit verbringe ich in Meetings oder führe Gespräche mit KollegInnen. Die Meetings konnte ich mir mit Unterstützung meiner KollegInnen so legen, dass ich an meinem freien Tag keines verpasse. Durch die Teilzeit sind es quantitativ nicht mehr Meetings geworden, doch der Anteil ist natürlich deutlich gestiegen. Ich musste lernen, die Zeit zwischen den Meetings so sinnvoll wie möglich zu gestalten, um meine Aufgaben zu schaffen. Diese Aufgaben gehe ich dann aber umso fokussierter und strukturierter an. Mein Anspruch war von Anfang an, alle wichtigen Aufgaben, die in einer 40-Stunden-Woche zu bewältigen sind, auch in 32 Stunden zu erledigen. Durch die 4-Tage-Woche fühlen sich die Tage für mich straff terminiert und sehr ausgefüllt an; Zeit für Kicker- oder Kaffeepäuschen findet sich nur selten. Schwierig wird es vor allem dann, wenn mehrstündige oder ganztägige Workshops angesetzt sind. Da ich meist nur einer von vielen TeilnehmerInnen bin, wird es oft schwierig einen geeigneten Slot im vollen Terminkalender zu finden. Da ist Flexibilität gefragt. In solchen jedoch seltenen Fällen lässt sich der freie Tag auch einmal verschieben. In anderen Fällen habe ich aber auch gelernt Nein zu sagen. Ich habe weniger Zeit für Beobachtungen und erfahre durch meine Abwesenheit von manchen Veränderungen und Problemen erst sehr spät. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass die Woche zu kurz ist, wenn ich größere Aufgaben von einer Woche zur nächsten Woche immer mal wieder durchschleife.

Weniger Verlangen nach Urlaub

Durch die Teilzeit leidet die Qualität der eigenen Arbeit überhaupt nicht. Im Gegenteil: Durch die längeren Erholungsphasen bin ich ausgeruhter, ausgeglichener und konzentrierter. Ich schaffe also wahrscheinlich sogar mehr in weniger Zeit. Die längeren Erholungsphasen haben sicherlich auch einen großen Einfluss auf die Gesundheit. Das Verlangen nach Urlaub ist viel geringer bzw. setzt später ein. Ich würde sogar behaupten, dass ich durch die Teilzeit weniger Verlangen nach Urlaub oder ähnlichem Freizeitausgleich habe.

Inspect and adapt – probiert es einfach aus

Einige meiner KollegInnen wollten auch gern mal Teilzeit ausprobieren oder haben es noch vor. Manche haben dann doch gemerkt, dass sie am Gehalt keine Abstriche machen wollen. Manchen ist dann in der zusätzlichen freien Zeit auch die Decke auf den Kopf gefallen oder sie verbringen die neu gewonnene Zeit doch mit Themen, mit denen sie sich auch während der regulären Arbeitszeit beschäftigen könnten. Ich kann nur empfehlen: inspect and adapt. Wenn ihr neugierig seid, probiert es einfach aus. Vielleicht ist es genau die richtige Entscheidung, um euch nicht nur im Leben, sondern auch auf der Arbeit zu mehr Glück zu verhelfen. Vielleicht merkt ihr aber auch, dass ihr unbedingt die Vollzeit benötigt, um euch im Beruf ausreichend selbst verwirklichen zu können.

Weniger ist mehr – 24-Stunden-Woche?

Eine Rückkehr in die 40-Stunden-Woche ist für mich aktuell unvorstellbar. Das zweite Kind erblickt bald das Licht der Welt. Da denke ich eher darüber nach, die Arbeitszeit noch radikaler zu reduzieren: 24-Stunden-Woche? Dann könnte ich auf dem Heimweg auch direkt die Kinder von der KiTa abholen und noch mehr Zeit mit ihnen verbringen. Ich könnte anderen tollen und ehrenamtlichen Projekten noch mehr Aufmerksamkeit schenken oder noch mehr Dinge selbst bauen und reparieren. Vielleicht komme ich dann aber auch schneller in den Überstunden-Modus, da sonst wichtige Aufgaben auf der Strecke bleiben?

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Schätzungen von Scrum über #Noestimates zu Kanban – Teil 2

Schätzungen von Scrum über #Noestimates zu Kanban – Teil 2

Im zweiten Teil des Doppel-Artikels schauen wir nun auf #Noestimates, Scrum 3.0 und Kanban. Diese bieten andere Ansätze, wie Teams sich selbst in Eigenregie messen können.

#Noestimates

“Noestimates” klingt erstmal recht reißerisch: Wir machen einfach keine Schätzungen mehr. Wie Vasco Duarte es in seinem Video aber gut erklärt: wir messen trotzdem noch etwas und planen mit Hilfe dieser Metriken.

In seinem Blog definiert Woody Zuill #noestimates als:
=&0=&: Das Managen eines Backlogs, das Schätzen der Backlog Items und vielleicht sogar die Überarbeitung dieser Schätzungen zu einem späteren Zeitpunkt sind Verschwendung.

=&1=&: Die zu schätzenden Tickets repräsentieren einen Plan. Das Schätzen bedeutet also, sich zu einem Plan zu committen. Schätzt man nun ein Backlog durch, bedeutet dies ein Commitment zu einem Langzeit-Plan, was dem Gedanken von Agilität gänzlich widerspricht.

=&2=& Ein springender Punkt der Arbeit in Iterationen ist ja, Feedback für das Gelieferte zu erhalten. Dieses Feedback verändert oft den Scope – also die Backlog Items. Stories verändern sich also und werden meist eher größer. Und schon stimmen die Schätzungen nicht mehr.

=&3=&: Analysiert man die Daten der Sprints von Teams, kommt man schnell zur Schlussfolgerung, dass mit Story-Punkte die Vorhersagbarkeit nicht besser ist, als einfach nur die Anzahl der Stories zu zählen. Im Gegenteil: wie sich zeigt, steigt die Vorhersagbarkeit sogar, wenn man nur Daten des Story-Durchflusses verwendet – und es gibt damit auch weniger Overcommitment.

Die Verläufe über die Zeit von mehreren Teams aus mehreren Firmen werden im Video ausgewertet und es wird die Vorhersagbarkeit von Story Points der von einfach nur Stories zählen gegenübergestellt. Ein elementarer Aspekt dabei sind die Daten: nur anhand dieser kann man Schlussfolgerungen ziehen und experimentieren. Normalerweise hat die aber jedes Scrum Team. Sie verstecken sich meist nur – etwa in JIRA Sprint Reports – und man muss etwas Zeit investieren, um sie herauszuziehen.

Screenshot aus dem Video von Vasco Duartes Talk von der Øredev 2014

Schätzungen von Scrum über #Noestimates zu Kanban – Teil 1

Schätzungen von Scrum über #Noestimates zu Kanban – Teil 1

Anja und ich haben vor einer Weile wieder das agiLE Meetup in Leipzig besucht. Diesmal gab es ein Fokusthema, “Product Ownership”, und so behandelte eine Session des Open Space auf dem Meetup die Frage, welche Schätzverfahren die Teilnehmer in ihren Teams einsetzen und ob denn überhaupt geschätzt wird. Das Thema wird auch im Management 3.0, in der #noestimates-Initiative, in Scrum 3.0 und in Kanban angesprochen, was ich in diesem Doppel-Artikel etwas genauer unter die Lupe nehme.

Schätzmethoden

Die meisten agilen Teams starten mit Scrum und viele Teams adaptieren schnell ein Schätzverfahren – etwa mit Story Points nach Fibonacci-Zahlen in Planning-Poker-Runden.

Betrachtet man nun über die Zeit viele Teams, so findet man Abwandlungen und Vereinfachungen davon. Insbesondere am Anfang tun sich viele Teams, die aus einer klassischen Projektmanagementwelt kommen, schwer mit abstrakten Größen wie Story Points. Sie schätzen daher gern in Zeitangaben mit Stunden oder Tagen – oder sie haben eine Umrechnung in Story-Punkte. Gerade wenn ein Team noch keinen leicht von der Hand gehenden Schätzprozess hat, lohnt sich auch der Einsatz von Referenz-Stories, die eine Art Skala für Schätzungen vorgeben.

Anderen Teams sind die Story-Punkte zu granular – sie brauchen viel Zeit zum Schätzen, ziehen aber gar nicht so viel nützliche Informationen daraus. Diese Teams legen sich dann z.B. auf nur wenige mögliche Größenkategorien fest – “alles größer als 8 ist zu groß”. Oder aber sie gehen zu einfacheren Systeme über und schätzen in T-Shirt-Größen mit S, M, L.

Foto: Rolf Irion

 

Mit Planning Poker werden die einzuschätzenden User Stories zwar so besprochen, dass jeder ihren Sinn und Kern verstanden hat, jedoch spricht man jede Story durch – und das kann recht viel Zeit in Anspruch nehmen. Viel schneller kann hier Magic Estimation sein, denn hier bespricht man nur die Stories, die noch Klärung benötigen. Ich habe Teams gesehen, die damit in 45 Minuten satte 50 Tickets geschätzt haben (ok, hier waren nicht nur User Stories sondern auch Verbesserungen und Defekte dabei).

Auf dem Meetup in Leipzig brachte ein Teilnehmer eine mir noch unbekannte Technik mit:

3-Punkte-Schätzung nach DeMarco

Wenn Macher auf Beobachter treffen: Konfliktmanagement & Teambuilding mit Conrad Giller

Wenn Macher auf Beobachter treffen: Konfliktmanagement & Teambuilding mit Conrad Giller

Letzte Woche habe ich extrem genossen, denn es gab an fünf von fünf Tagen jede Menge Input, Aktion und Spaß. Das Konfliktmanagement Training und der Teambuilding Workshop von Conrad Giller richten sich beide an Agilisten und tragen deshalb den Zusatz „im Scrum“ im Titel. Das Konzept geht definitiv auf und beide Veranstaltungen sind absolut empfehlenswert.

Das Angebot richtet sich an Agile Coaches, Scrum Master und Product Owner – also Rollen und Menschen, die per se jede Menge kommunizieren und mit anderen zusammenarbeiten. Daneben können die Inhalte und Übungen jedoch jeden weiterbringen, der erfolgreich kommunizieren will. Conrads Slogan kann ich definitiv unterschreiben: „Kommunikation ist, was ankommt“. Und da sind immer alle Seiten im Spiel.

Mehrwert entsteht in Interaktionen

Was erwartet euch als Teilnehmer? Natürlich gibt es jede Menge Wissen zu Kommunikation, Konflikten und Interaktionen in Gruppen. Je nach Erfahrungslevel ist davon einiges oder vieles neu. Manchmal bekommt man einfach nur einen Namen für Dinge, die man schon kennt und anwendet, eine Bestätigung für eigene Erfahrungen oder einen neuen Blickwinkel. In einem sehr interaktiven Format werden Infos ausgetauscht und hinterfragt, etwa…

  • Grundlagenwissen zu Kommunikation (z. B. Ebenen der Kommunikation, Aspekte einer Nachricht)
  • diverse Modelle für Interaktion in Gruppen und Teamarbeit (z. B. Lencionis Five Dysfunctions of a Team, Tuckmans Teamphasen)
  • Hintergründe zu Wertesystemen, Bedürfnissen und Motiven als Grundlage menschlichen Handelns (z. B. Bedürfnispyramide nach Maslow)

Wem diese Themen zu trocken klingen: Keine Angst, Monologe gibt es nur auf Wunsch, Praxisnähe ist oberstes Gebot. Es gibt einen groben Fahrplan, den jeder Teilnehmer aktiv mitgestalten kann.
Toll fand ich, eine umfangreiche Sammlung aller Themen schwarz auf weiß in die Hand gedrückt zu bekommen. Schöne Lektüre für die Zugfahrt – und schafft Freiheit auf die Dinge intensiv einzugehen, die für die Teilnehmer am interessantesten sind.

In zahlreichen Übungen und (Rollen-) Spielen agieren die Teilnehmer selbst und erfahren dabei viel über…

  • Hineinversetzen und Verstehen des Gegenübers (z.B. Wahrnehmungstypen, soziale Dialekte)
  • das eigene Rollenverständnis (z.B. Menschenbild, Hauptantrieb)
  • Reflexion eigener Stärken und Schwächen in Kommunikation und Führung
  • Lösungsansätze zu eigenen Fallbeispielen

Und natürlich gibt es viel zu lachen sowie zahlreiche Möglichkeiten, interessante Leute kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen.

Meine Top Five

Obwohl mir die meisten besprochenen Konzepte und Modelle bekannt waren, habe ich jede Menge Anregungen und Ideen mitgenommen – definitiv zu viele, um sie hier alle aufzulisten. Das hat mich wirklich überrascht. Lasst mich fünf Kernaussagen mit Euch teilen, die mir einiges an Klarheit (zurück-) gebracht haben.

Love it, leave it or change it!

Konfliktsituationen lassen sich nur dann entschärfen, wenn sich alle Beteiligten darauf einlassen. Sobald irgendwo der Wille dazu fehlt, wird eine echte Lösung unmöglich. Dennoch muss sich niemand in einen zwecklosen Kampf begeben. Wenn es nicht möglich ist, die Situation positiv zu verändern, gibt es immer noch die Option, sie zu verlassen. Besonders im letzten Fall ist es sinnvoll, die Konsequenzen zusammenzufassen und sich zu versichern, dass diese auch dem Gegenüber bewusst sind. So kann aus dem Gefühl des Aufgebens zumindest ein Akzeptieren einer Entscheidung werden.
Als Coach kann ich diese Optionen auch anderen deutlich machen und so zu einer aktiven Entscheider-Rolle verhelfen, anstatt jemanden in passiver Resignation zurück zu lassen.

Emotionen unterscheiden Probleme von Konflikten.

Nicht jede Situation, in der verschiedene Meinungen aufeinander treffen muss „be-coacht“ werden. Zum einen erzeugt Meinungsverschiedenheit Reibung, aus der sinnvolle Impulse entstehen können. Zum anderen haben viele Teammitglieder durchaus Erfahrung und ein gutes Händchen für das Auflösen solcher Situationen. Wo also beginnt nun ein Konflikt? Conrad nutzt hierfür eine simple „Formel“:

zwei Meinungen = Problem   |   zwei Meinungen + Emotionen = ein Konflikt

Stakeholder-Feedback und Wertschätzung in der agilen Produktentwicklung – Teil 1

Stakeholder-Feedback und Wertschätzung in der agilen Produktentwicklung – Teil 1

Eure Teams sind motiviert, ihr startet mit Bilderbuch-Scrum durch, ihr habt richtig gute early adopters, die Euch beim Verbreiten agiler Ideen unterstützen und ihre eigenen Erfahrungen im Team teilen. Alles könnte so schön sein. Aber im Sprint Review wartet euer komplettes Team vergeblich auf Stakeholder. Obwohl die Einladung ein Serientermin ist, alle informiert und erinnert wurden und ebenfalls alle die Einladung angenommen haben. Was für eine Enttäuschung. Spätestens nach dem zweiten Sprint Review hat euer Team keinen Bock mehr darauf, denn scheinbar ist die geleistete Arbeit nicht wichtig genug, um gewürdigt zu werden. In der nachfolgenden Retrospektive wird der Prozess an sich, Scrum und agiles Vorgehen generell in Frage gestellt und die Motivation des Teams ist dahin.

Wer von euch hat wissend geschmunzelt, verzweifelt genickt oder zustimmend geseufzt?

Diejenigen, die Ähnliches bereits erlebt haben, fragten sich wahrscheinlich auch, wie man die Situation für alle Beteiligten verbessern kann. Ein paar Erfahrungen dazu möchte ich in diesem und dem darauffolgenden Post mit Euch teilen.

Aufmerksamkeit erhöhen: Das Gemba Walk Experiment

Um zu erkennen, was das Problem ist, kann es sinnvoll sein, gemeinsam mit den Stakeholdern zu reflektieren, was passiert ist und warum. In einem Unternehmen, in dem ich mehrere Teams betreut habe, gelangten wir nach Rückfragen zu der Annahme, dass andere Termine wichtiger erscheinen, weswegen Stakeholder nicht am Review teilnehmen. Was könnte man daraus ableiten? Eine Idee war, die Attraktivität und den wahrgenommenen Wert des Sprint Reviews zu erhöhen. Genau das haben wir ausprobiert – mit dem Gemba Walk Experiment.

Gemba ist ein japanisches Wort und bedeutet soviel wie “Tatort” oder der Ort des Geschehens. Aus ökonomischer Sicht ist damit auch der Ort gemeint, an dem produziert und Wert erzeugt wird. Im klassischen Qualitätsmanagement wird diese Idee so verstanden, dass Experten die Prozesse und Bedingungen vor Ort beobachten, um akute Probleme analysieren und eine angemessene Lösungsstrategie ableiten zu können.
Uns gefiel das Konzept und wir entschlossen uns, die Idee des Gemba Walks zu adaptieren. Wir erhofften uns, Teams und Stakeholder generell näher zusammen zu bringen. Außerdem wollten wir die Möglichkeit schaffen, Entscheidungen während des Entwicklungsprozesses nachvollziehbar und verstehbar zu machen.

Dafür wurden die Stakeholder in den Teamraum eingeladen, wo auch alle anderen Werkzeuge und Arbeitsmittel, wie Whiteboards, Build Screens, JIRA Boards, To Do Listen, Priorisierungs-Matrizen u.ä., in Augenschein genommen werden konnten.
Im Vergleich zum Review wurde der Fokus erweitert: Das Team demonstrierte zwar zuerst den aktuellen Stand der Produktentwicklung, im Gegensatz zum klassischen Sprint Review in Scrum konnte dieser aber auch den Status unfertiger Features beinhalten, wenn die Stakeholder dazu Informationen wünschten. Während der ersten Phase, in der das Team ungestört funktionierende und an den Kunden auslieferbare Produktteile präsentierte, konnten sich Stakeholder Fragen notieren, auf die im Anschluss eingegangen wurde. Je nach Anzahl der Teilnehmer und Fragen, wurden letztere zwischendurch in Cluster aufgeteilt und durch Dot Voting oder “buy-a-question” mit Pokerchips priorisiert, um sicherzustellen, dass die wichtigsten Fragen zuerst besprochen und definitiv beantwortet werden.

Außerdem waren die Gemba Walks offen für jedermann. Das hat die empfundene Wertschätzung für das Team definitiv erhöht, denn es waren stets auch Mitglieder anderer Teams und Interessierte aus anderen Abteilungen des Unternehmens anwesend.
Allerdings erhöhten sich damit auch Vorbereitungsaufwand und Platzbedarf. Um das zu kompensieren und die Kalender der Stakeholder zu entlasten, gab es nur einen Gemba Walk pro Woche. Entsprechend hatte jedes Team seinen Gemba Walk nur in mehrwöchigen Abständen, je nachdem wie viele Teams am Produkt arbeiteten (z.B. 6 Teams = 6 Wochen mit je einem Gemba Walk, d.h. jedes Team hat nur aller sechs Wochen einen Gemba Walk). Das ist eine lange Zeitspanne für eine Feedback-Schleife im agilen Entwicklungsprozess. Entsprechend musste zusätzlich weiterhin Feedback über andere Wege eingeholt werden. Reviews zum Sprintende gab es weiterhin – quasi als Endabnahme im Team mit dem Product Owner (PO), manchmal mit einzelnen Stakeholdern. In der Woche des Gemba Walks ersetzte dieser jedoch das Review.

War das Experiment erfolgreich? Ja. Wir haben definitiv dazugelernt und konnten weiter optimieren. Hat das Experiment unser Problem, die Anwesenheit von Stakeholdern sicherzustellen, gelöst? Nein. Oha!  Was also war das Ergebnis?

Ein positiver Effekt war definitiv die gesteigerte Aufmerksamkeit für die Arbeit der Entwicklungsteams im gesamten Unternehmen. Auch der Austausch zwischen den Teams wurde gefördert. Das Interesse an der Arbeitsweise unserer Teams war enorm und einige kreative Arbeitsmittel wurden bestaunt und positiv bewertet.
Durch die offenere Gestaltung des Gemba Walks im Vergleich zum Sprint Review gab es einerseits mehr Austausch zu geplanten Kampagnen, Ideen und Nutzerreaktionen, andererseits auch tatsächlich mehr direktes Feedback zu den fertigen Features.
Kurzzeitig steigerte der neue Charakter auch die Motivation der Beteiligten und wir mussten den Zeitrahmen sogar erweitern, da das Interesse so groß war. Das war umso erstaunlicher, weil die meisten Stakeholder zuvor nicht einmal an deutlich kürzeren Sprint Reviews teilnahmen.

Dennoch war uns schnell klar, dass wir einfach etwas Neues geschaffen hatten, das kein Ersatz für ein klassisches Review sein konnte. Entsprechend überwogen nach einigen Monaten auch die Nachteile, z.B. ist kein Team-Raum geeignet, eine so große Menge von Leuten zu fassen. Und letztlich machte sich nach wenigen Monaten auch das ursprüngliche Problem bemerkbar: immer weniger tatsächliche Stakeholder nahmen an den Gemba Walks teil. “Inspect and adapt” war erneut angesagt.

Positiv verstärken: Der Basar

Eine interessante Version des Reviews durften wir im Rahmen der ersten LeSS-Konferenz in Amsterdam 2016 selbst erleben: den Produkt-Basar (im LeSS Framework

“Bazaar”